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 ERINNERUNGEN
Weihnachten 1945
50 Jahre Mauerbau

WEIHNACHTEN 1945
 

Weihnachten 1945 - das erste Weihnachtsfest im Frieden, wie sehr haben es alle Menschen erwartet, doch für viele war es ein sehr trauriges Fest. Auch meine Familie hatte andere Erwartungen an dieses Fest gestellt, doch in den vergangenen Wochen hatte sich für uns viel geändert.

Mein Gedanken gehen zurück an die letzten Kriegstage im April 1945.

Wir wohnten in einem kleinen Städtchen an der Elbe in Mecklenburg. Meine Eltern besaßen eine Gärtnerei, in dem jedes Mitglied der Familie mithalf, wie es in seinen Kräften stand. Im April hatte ich meine Schulzeit beendet . Bisher waren wir noch wenig vom Krieg betroffen, abgesehen von den immer häufiger werdenden Fliegeralarmen, den täglich in großen Pulks am Himmel vorüberziehenden Bombern. Immer mehr Flüchtlings-

Trecks aus dem Osten zogen vorbei und über die Elbbrücke in den Westen. Bis dann auch das vorbei war, denn am 20.4.45 wurde die Brücke von Jagdbombern zerstört. Wenige Tage später schoss Artillerie über die Elbe und auch wir zogen mit einem Handwagen zu etwas entfernt wohnenden Verwandten.

Es war herrliches Frühlingswetter, mein Vater und ich fuhren täglich mit dem Rad zweimal 20 Kilometer in unser Städtchen, um in der Gärtnerei die anfallenden Arbeiten zu verrichten.

Es war der dritte Mai, als amerikanische Panzer einzogen, die am nächsten Tag von russischen Truppen abgelöst wurden. Kurz zuvor kam meine ältere Schwester zu Fuß bei uns an, die kleinere Schwester war schwer krank und Vater sollte versuchen, dass ein bekannter Fuhrmann sie holt. Der Mann traute sich nicht mehr fort, und das war gut

Nach einer schlimmen Nacht , die russischen Soldaten hatten ihr Quartier in unserem Betrieb aufgeschlagen, fuhren wir mit unseren Rädern über Schleichwege in das Dorf, in dem meine Mutter und die kleinere Schwester geblieben waren. Der einzige Arzt der Gemeinde war geflohen, doch ein amerikanischer Arzt half und ließ meine Schwester auf einem offenen Jeep ins Kreiskrankenhaus schaffen. Sie hatte einen geplatzten Blinddarm, der Arzt rettete ihr das Leben.

Am 7.Mai wurde ich 16 Jahre alt und am Abend hörten wir die Nachricht, dass Waffenstillstand verkündet worden war.




Endlich war der Krieg vorbei!

Nach einigen Umständen konnten wir unser Haus, das inzwischen von Flüchtlingen besetzt worden war, wieder beziehen. Die Russen hatten sich zurückgezogen, wir waren vorübergehend Englische Besatzungszone. Jedoch nur einige Straßen, der größere Teil unseres Städtchens war Sowjetisch. Wir lebten wie im tiefsten Frieden, denn der Russe ließ keine Lebensmittel über die Grenze, sodass die zwei-drei Läden ihre Lieferungen an die übrige Bevölkerung abgaben.

In unserem Betrieb gab es reichlich Arbeit. Wir hatten Hilfskräfte zur Verfügung, Männer, die in ihre Heimat zurückwollten und wegen der Grenze im Städtchen hier festsaßen. Sie kamen aus der Steiermark, aus Berlin und aus Österreich. Bei uns war Alfred, ein junger Wiener untergebracht. Er gefiel mir sehr, jung, braungebrannt mit einem silbernen Kettchen um den Hals. Ich freute mich jeden Tag auf die Arbeit mit ihm und Käthe, ein Flüchtlingsmädchen, wir waren ein gutes Gespann.

Alfred hatte Interesse an der Gartenarbeit, besonders aber interessierte ihn die Imkerei, die mein Vater nebenbei betrieb. Vater mahnte oft, er solle sich etwas überziehen, wenn er den Bienenstand betrat, doch Fred winkte ab, er war überzeugt, dass die Bienen ihn kennen.

Dass das nicht der Fall war, zeigte sich, als mein Vater einen ausgeflogenen Bienenschwarm in Nachbars Garten einfangen wollte. Die Bienen wurden plötzlich so aggressiv, dass die Männer ausreißen mussten. Ob es ein besonderer Geruch war, weiß ich nicht, sie verfolgten den armen Kerl bis ins Haus. Wir Mädchen entfernten die Stacheln aus seinem nackten Rücken, es waren mehr als 30. Vater rief den Arzt, nach zwei Tagen mit hohem Fieber kam Fred wieder zur Arbeit. Er erklärte, dass er sich trotzdem in seiner Heimat Bienen anschaffen wollte, seine Eltern hätten einen Weinberg.

Als Fred nach Wochen die Genehmigung zur Abreise bekam, war er glücklich und ich traurig, wir haben nie von ihm gehört, trotz der Versicherung, dass er sofort schreiben wolle. Es ist anzunehmen, dass er nicht nach Wien, sondern nach Russland kam.

So verging ein wunderschöner Sommer. Eines Tages ging unser Stadtpolizist von Haus zu Haus und verkündete, dass am nächsten Tag die Russen auch unseren Teil der Stadt besetzen, das waren die Bestimmungen des Potsdamer Abkommens.

Viele Menschen zogen jetzt noch fort, doch unser Vater war überzeugt, dass sein Betrieb und seine Erzeugnisse dringend benötigt wurden.

Zweimal wöchentlich verkauften wir Obst und Gemüse, Bohnen, Möhren, Tomaten, alles frisch geerntet. Die Leute standen geduldig an, es hatte sich bis ins 40 Kilometer entfernt liegende Wittenberge herumgesprochen, dass es in D. Gemüse zu kaufen gab.




Unvergesslich ist der 22.09.1945

Vater wollte gerade seine Arbeit beginnen, als er zurück in die Küche kam und meine Mutter herausrief. Draußen standen der neue Ortspolizist, ein ehemaliger Gemeindebote und ein weiterer Vertreter der KPD und teilten unseren Eltern mit, dass unser Betrieb mit sofortiger Wirkung beschlagnahmt sei. Wir hätten in zwei Stunden das Haus zu räumen.

Was in meinen Eltern vorgegangen ist, kann ich nicht nachvollziehen. Meine Schwester war vor einer Woche aus dem Krankenhaus entlassen und konnte kaum laufen. Was war das wichtigste, was mitgenommen werden musste. Und dabei standen immer die Aufpasser und erklärten „ Das bleibt hier“ wobei sich der sog. Polizist besonders hervortat

Man wies uns eine winzige Unterkunft zu. Vieles geschah in den folgenden Wochen. Das letzte war wenige Tage vor Weihnachten. Wieder erschien Jemand aus dem Rathaus und bestellte meinen Vater in das Amt.

Außer ihm warteten dort schon einige Männer aus dem Ort. Niemand kannte den Grund ihrer Vorladung. Während des Wartens erfuhren sie, dass in der vergangenen Nacht das Sägewerk der Stadt abgebrannt war, die Maschinen sollten am folgenden Tag in die SU abtransportiert werden. Und diese Brandstiftung war der Grund für die Verhaftung der Männer. Tagelang wurden sie immer wieder verhört. Einer nach dem anderen durfte nach Hause. Die Ehefrauen mussten täglich Essen bringen und bei dieser Gelegenheit flüsterte der Gefängniswärter meiner Mutter zu, sie solle ins Rathaus gehen und um die Entlassung bitten. Es fiel meiner Mutter sehr schwer, wir Kinder redeten ihr zu und tatsächlich durfte Vater drei Tage vor Weihnachten nach Hause.

Alle diese Erlebnisse sind mir noch gut im Gedächtnis, auch, dass wir sogar einen winzigen Weihnachtsbaum hatten, geschmückt mit geborgten Kugeln. Wegen der Raumknappheit stand er auf einem hohen Blumenständer und stürzte paar Tage nach dem Fest bei Durchzug einfach klirrend um.

Doch an den Heiligabend habe ich keine Erinnerung. Ich weiß nicht, ob es Geschenke gab und ob Mutter etwas gebacken hat, sicher hat sie es möglich gemacht. Doch die Erinnerung an diese traurigen Stunden in der fremden Wohnung, mit der Angst, was bringt das neue Jahr uns allen, hat diese Erinnerung verdrängt.

Das neue Jahr brachte nochmals einen Wohnungswechsel in eine noch kleinere Wohnung, wie viel Leid mussten meine Eltern ertragen, zwei arbeitsame, fleißige Menschen wurden in den folgenden Jahren mehrmals dafür bestraft, dass mein Vater, wie Tausende andere Menschen auch, der Hitlerpartei beigetreten war, als man noch nicht ahnen konnte, wohin das alles führt.




 

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